Intelligent vernetzte Daten sorgen für eine signifikante Effizienzsteigerung im Kundenservice – und sind außerdem eine Quelle für neue Business-Ideen.
Autor – Dr. Matthias Gutknecht, Business Development bei der STAR Group
Die Bedeutung von After Sales Services und Kundendienst wächst laufend. Produktpreise und -margen stehen im globalen Wettbewerb bereits unter Druck. Ein kompetenter, effizienter und kundenfreundlicher Service entscheidet immer öfter über den Markterfolg. Auf der anderen Seite zeichnet sich ein zunehmender Mangel an Fachkräften ab. Die Produktivität der verfügbaren Fachkräfte muss folglich deutlich gesteigert und die Qualität und Flexibilität sogar noch verbessert werden. Denn ein marktführender Kundendienst ist nur noch möglich, wenn die größten Produktivitätslecks im technischen Service und Kundendienst vermieden werden. Intelligent vernetzte Daten beseitigen Leerläufe, helfen beim „Upskilling“ von Fachkräften und ermöglichen eine kontextgenaue Prozessführung. Zudem werden optimale Voraussetzungen für neue, attraktive digitale Kundenservices geschaffen.
Die Zwickmühle: Service intensivieren – trotz fehlender Fachkräfte
Die 2018 von der IMPULS Management Consulting durchgeführte Studie zur Digitalisierung im Service in der Investitionsgüterindustrie kommt zum Ergebnis, dass der Umsatzanteil des After Sales etwa 30 Prozent beträgt. 2010 waren es noch circa 20 Prozent und 2025 wird ein Anteil von ungefähr 40 Prozent am Gesamtumsatz erwartet [1]. In der Automobilindustrie sieht es aufgrund der gewaltigen Umwälzungen nicht ganz so rosig aus [2]. Aber auch dort gibt es marktabhängige Wachstumspotenziale von bis zu 8 Prozent jährlich für den Service.
Es gibt also in vielen Märkten und Industrien Wachstumsmöglichkeiten für Service. Allerdings herrscht dort gleichzeitig ein Mangel an Fachkräften [3]. Eine weltweit durchgeführte Studie mit CEOs aus verschiedenen Branchen zeigt, dass 80 Prozent sich Sorgen um die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal machen – von Mitarbeitern mit dem Know-how und der Erfahrung in neuen Technologien, kombiniert mit der Fähigkeit autonom, aber abgestimmt mit andern Mitarbeitern/Kunden zu handeln. Serviceanteile können nur hinzugewonnen oder gehalten werden, wenn die immer geringere Anzahl an versierten Fachkräften produktiver wird und weniger gut qualifizierte Arbeitnehmer anspruchsvolle Servicearbeiten mit guter Qualität ausführen können.
Dabei stellt sich die Frage, wo genau Produktivität verloren geht und wie diese Produktivitätskiller auf der Grundlage intelligent vernetzter Daten beseitigt werden können.
„Im Dunkeln tappen“: Einsatzplanung ohne zuverlässige Informationen
Schon bevor ein Techniker Instandhaltungs- oder Diagnosearbeiten an einer Maschine, Anlage oder einem komplexen Gerät aufnehmen kann, muss er zwei wichtige Hürden überwinden:
Zunächst betrifft dies die Ressourcen-Planungshürde: Die für einen Service notwendigen Ressourcen müssen auf die Konfiguration der Anlage abgestimmt werden. Dazu müssen einige Fragen beantwortet werden: Reicht das zur Verfügung stehende Zeitfenster aus oder benötigt die betroffene Produktvariante länger als üblich? Sind alle Verbrauchsmaterialien vor Ort bzw. im Servicefahrzeug in der benötigten Menge und Qualität vorhanden oder müssen sie zuerst bestellt werden? Sind die (Sonder-)Werkzeuge vorhanden? Oft können diese Fragen nur ungefähr beantwortet werden und dies bedeutet weitere ungeplante Serviceeinsätze mit zusätzlichem Zeit- und Kostenaufwand für den Kunden, so dass seine Zufriedenheit und Loyalität sinken.
„Auch Servicemitarbeiter erwarten heute, dass sie gezielt durch digitale Prozesse geführt werden.”
Eng damit verbunden ist die Informationszugangshürde: Sind Servicearbeiten geplant, müssen die für den Einsatz benötigten Informationen eigenständig zusammengestellt werden. Oft ist aber nur eine Website oder ein Content Delivery Portal vorhanden, wo die benötigten Daten für jede geplante Serviceaufgabe manuell recherchiert werden müssen – mit der Folge, dass bis zu 30 Prozent der Arbeitszeit mit einer unproduktiven Suche von Informationen verschwendet werden – ohne Mehrwert für den Endkunden.
Informationshürden im Service
„Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht“: Konkrete Anleitungen fehlen 
Ist der Techniker vor Ort, sieht er sich mit weiteren Heraus-forderungen konfrontiert. So muss bei Serviceeinsätzen oft eine Verständnishürde überwunden werden, da Anleitungen meist als Schritt-für-Schritt-Beschreibungen für Anfänger vorliegen, diese jedoch nicht exakt auf die vorliegende Produktvariante hin abgefasst sind. Erfahrene Mitarbeiter kennen bereits diese grund-sätzlichen Arbeitsschritte. Was diese aber darüber hinaus benötigen, ist eine konkrete Zusammenstellung technischer Daten, Werkzeuge, Verbrauchsmaterialien, eine Übersicht der Verbau-Orte und alle relevanten Gefahren-hinweise. Und genau diese Informationen müssen sie mühsam aus den detaillierten Texten, Bildern und Videos in Eigenleistung zusammenstellen. Auf der anderen Seite überfordern knappe, fokussierte Informationen wenig erfahrene Mitarbeiter.
„Informationen zu Änderungen in Konstruktion, Produktion oder Gesetzgebung müssen über mehrere Systemgrenzen hinweg zugänglich gemacht werden.“
Beide Fälle haben zur Folge, dass Mitarbeiter durch die nicht „stufengerecht“ aufbereiteten Informationen Zeit verlieren, Fehler machen und die Serviceinformationen kaum mehr zur Kenntnis nehmen und sich lieber „durchwursteln“. Dies führt oft zu hohen Kulanzkosten aufgrund fälschlicherweise getauschter Teile.
„Das ist noch von vorgestern“: Aktuelle Daten sind nicht zugänglich
Ein weiterer Punkt betrifft die Verfügbarkeit von aktuellen Informationen: Auch gut aufbereitete Dokumentationen werden regelmäßig ungültig und durch neue ersetzt. Außerdem müssen Erfahrungen aus dem Feld mit Hinweisen zu verbesserten Abläufen nutzbar gemacht werden. Dazu muss eine Silo-Hürde überwunden werden, denn Informationen zu Änderungen in Konstruktion, Produktion oder Gesetzgebung müssen über mehrere Systemgrenzen hinweg zugänglich gemacht werden. So wird im Falle von konstruktiven oder produktionsbezogenen Änderungen von der verantwortlichen Stelle eine „Engineering Change Note“ ausgegeben. Die Redaktion entscheidet daraufhin, welche Teile der technischen Dokumentation im Redaktionssystem angepasst werden müssen. Änderungshinweise werden dann an alle von der Änderung betroffenen Stellen in der Serviceorganisation (Werkstätten, Techniker, etc.) verteilt und dort kommuniziert.
Doch oftmals haben Servicemitarbeiter die Änderungen schon wieder vergessen, wenn sie eine betroffene Anlage warten müssen – denn es gibt keine kontextbezogenen, personalisierte Hinweise auf Änderungen. Die Folgen sind zum einen eine zeitintensive und fehleranfällige Verteilung von Änderungsinformationen zu Werkstätten und Kunden und zum anderen ein steigendes Risiko für Fehler und Garantiefälle aufgrund unvollständiger oder veralteter Informationen. Zusätzlich kommt es vermehrt zu zeitaufwändigen Nachbesserungen.
„Licht ins Dunkel bringen“: Aftersales Hub mit intelligent vernetzten Informationen
Das Grundproblem bei allen vier genannten Hürden liegt in der Art und Weise, wie Informationen zur Verfügung gestellt werden. Meist werden diese in Form sogenannter „Topics“ verwaltet, die den einzelnen Kapiteln bzw. Sektionen im Servicehandbuch entsprechen. Servicearbeiten werden jeweils als ein komplettes Topic verwaltet und nachgeführt. Wichtige Details, wie zum Beispiel die benötigten Verbrauchsmaterialien, Werkzeuge, Ersatzteile, der Zeitaufwand oder technische Daten sind zwar in diesen Topics enthalten, sind aber nicht gesondert für eine digitale Auswertung zugänglich.
Um das Problem dieser „Topic-Blackboxen“ zu beseitigen, werden daher die wichtigsten Gegenstände aus dem Inhalt nochmals in Form von Metadaten dupliziert. Doch die Abhängigkeit zwischen Inhalt und Metadaten geht dabei verloren. Dadurch wird z.B. das Variantenmanagement sehr komplex und fehleranfällig. Auch die automatische Abstimmung der Informationen auf den Erfahrungsstand des Empfängers und die Situation ist nur schwer möglich.
Mehr Flexibilität kann durch Informationsnetze mit eigenen Informationsobjekten und korrekt modellierten Abhängigkeiten zwischen den Informationsobjekten erreicht werden. Dafür werden sogenannte Knowledge Graphen eingesetzt [4]. Sind die relevanten Aftersales-Informationen auf diese Weise zugänglich, können Serviceeinsätze gezielt geplant und durchgeführt werden.
Knowledge Graph basiertes Datenmodell
“Ein auf einem Knowledge Graph basiertendes Modell reduziert sehr stark den manuellen Aufwand zur Unterstützung modernster interaktiver Medien.”
„Punktlandung“: Planungssicherheit für Serviceeinsätze
Die Informationsbereitstellung bei diesem Ansatz basiert auf vernetzten Master Daten, die mit Knowledge Graphen modelliert und in einem zentralen Aftersales Daten-Hub zur Verfügung gestellt werden. Eine wesentliche Komponente sind dabei kontextgenaue Ressourcen: Im Knowledge Graphen ist jeder einzelne Arbeitsschritt mit Ressourceninformationen verknüpft und kann zudem mit Gültigkeiten versehen werden, bei welchen Geräte- bzw. Produkt-Varianten welcher Arbeitsschritt vonnöten ist. Die Vergabe von Gültigkeiten ist dabei nicht auf Varianten beschränkt, sondern kann beliebige Kontextparameter umfassen. Damit können nicht nur Arbeitsanweisungen, sondern auch die dafür benötigten Ressourcen, wie Zeit, Materialien, Werkzeuge oder Mitarbeiterqualifikationen geplant, verfügbar gemacht und in kontextgenauen Arbeitsanweisungen ausgegeben werden.
Dies funktioniert sogar für Troubleshooting-Einsätze, wo aufgrund der bekannten Fehlercodes und Symptome die möglichen Fehlerursachen (inklusive ihrer Häufigkeit) und Fehlerbehebungs-Maßnahmen eingegrenzt und sofort die dafür minimal und maximal notwendigen Ressourcen angegeben werden können. Die Folge sind unter anderem eine höhere First Time Fix Rate (FTFR) und die Reduktion teurer wiederholter Servicebesuche – ein wesentlicher Faktor für eine höhere Kundenzufriedenheit und -loyalität.
„For Me“: Prozessführung, individuell abgestimmt
Auch Servicemitarbeiter erwarten heute, dass sie durch digitale Prozesse geführt werden. Knowledge Graph basierte Masterdaten schaffen auch hier Abhilfe. Informationen werden für jeden Prozessschritt, abgestimmt auf den aktuellen Kontext und auf die Erfahrung des Mitarbeiters, automatisch aufbereitet und im geeignetsten verfügbaren Medium ausgegeben.
Eine hohe Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter ist eine Folge dieses Vorgehens: Die Unterstützung bei Einsätzen umfasst nicht nur die kontextgenaue Information ohne „lästige“ Suche, sondern auch die automatische Reaktion auf Eingaben des Benutzers (beispielsweise das Einblenden einer Korrektiv-Maßnahme bei einem Messwert außerhalb der Toleranz). Unmittelbar damit verbunden ist eine signifikante Senkung der Fehlerrate und eine kürzere Einarbeitungszeit.
Zudem ist das Prinzip der „stufengerechten“ Kommunikation jedem Lehrer bekannt. Arbeitsanleitungen erfüllen aber in der Regel nur die Bedürfnisse wenig erfahrener Benutzer. Erfahrungs- und fertigkeitsgerecht aufbereitete Anleitungen dagegen erleichtern das Verständnis, beschleunigen die Anwendung und verkürzen das Lernen. In den digitalen Medien gibt es keinen Grund, diesen Aspekt zu vernachlässigen. Basierend auf dem Erfahrungsprofil eines Benutzers können daher Anweisungen für Experten fokussiert auf das Wesentliche (zum Beispiel Arbeitstitel, Übersichtsbild, technische Daten, Sicherheitshinweise) und für Anfänger mit viel visueller Unterstützung – wie Videos, 3D Modelle, eventuell Augmented Reality Szenarien oder interaktive Sprachassistenten – aus ein- und demselben Datenmodell generiert werden. Das Interessante ist, dass ein Knowledge Graph basiertes Modell den manuellen Aufwand zur Unterstützung modernster interaktiver Medien stark reduziert.
„One fits all“: Digitale Durchgängigkeit
Daten-Silos kosten Zeit und Geld und führen zu Duplikation von Daten. Best Practice ist dagegen das Zusammenführen aller Masterdaten in einem zentralen Daten-Hub, der auf einem Knowledge Graph basiert. Über eine Web-Service Schnittstelle können sich alle Empfänger daraus bedienen. Damit wird eine digitale Durchgängigkeit geschaffen, bei der jede Information nur einmal erfasst, eventuell noch manuell angereichert und ergänzt und danach für beliebige Wiederverwendung im Daten-Hub gespeichert wird. Ändert sich die Information, sind nach dem Überspielen in den Data Hub sofort wieder alle abhängigen Applikationen nachgeführt. Zudem können Informationen aus dem Feld ebenfalls im Daten-Hub zusammen mit vielen Kontextdaten gespeichert, ausgewertet und wieder in der Prozesskette zurück bis hin zum Engineering verfügbar gemacht werden.
Diese zentrale “Single Source of Truth” sorgt für eine schnelle, teilweise automatisierte Verteilung von Änderungen sowie für eine Erfassung und Verteilung von Feedback-Daten und Messungen sowie Einstellwerten aus dem Feld. Erreicht wird auch eine höhere Transparenz und Agilität beim Umsetzen neuer Apps und Services, die auf dem Daten-Hub basieren. Dank moderner Datenbanktechnologien (z.B. NoSQL Datenbanken) und Konzepten, die weniger hohe Anforderungen an die Strukturierung der Daten stellen (z.B. Data Lakes), gelingt das Zusammenführen von Daten in einem solchen Daten-Hub auch für ältere, wenig strukturierte Daten.
Résumé
Die größten Hürden und „Produktivitätslecks“ im Service können durch das Aufbereiten von Service-Wissen und -Daten in einem vernetzten, integrierten Datenmodell und der Bereitstellung in einem digitalen Daten-Hub beseitigt werden. Der Kundendienst, die Werkstätten und die Servicetechniker können damit die Ressourcenplanung und -logistik verbessern, die Arbeitsunterstützung und -umgebung produktiver machen, Datenflüsse zwischen Engineering, Produktion und Service in beide Richtungen vereinfachen und beschleunigen. Damit wird der Service kunden- und mitarbeiterfreundlicher, flexibler, schneller und erfolgreicher – sogar in Zeiten des Fachkräftemangels.
Der große Vorteil für das Unternehmen ist eine erhöhte Transparenz und Agilität für sämtliche After Sales Prozesse sowie laufend bessere (und damit wertvollere) Daten und Einblicke in den Lebenszyklus des Produkts und den Verlauf der Serviceziehung mit den Kunden.
Mit über 35 Jahren Erfahrung und Standorten in über 30 Ländern zählt STAR zu den führenden Anbietern im Bereich multilingualer Informationstechnologien. Wer bei neuen Digitalisierungstrends mit dabei sein will, muss Informations- und Sprachprozesse einschließlich Augmented/Virtual Reality und Künstliche Intelligenz als integralen und synchronisierten Bestandteil von Marketing, Produktentwicklung, Produktion und Kundendienst beherrschen.
Referenzen
[1] Matthias Mahnel (2018): Die Digitale Zukunft im Service. https://www.impuls-consulting.de/studien/
[2] McKinsey Report (2018): Ready for inspection: The automotive aftermarket in 2030. In: https://www.mckinsey.com/industries/automotive-and-assembly/our-insights/ready-for-inspection-the-automotive-aftermarket-in-2030
[3] PwC Artikel (Oktober 2019): Talent trends 2019 – Upskilling for a digital world. In: https://www.pwc.com/gx/en/ceo-survey/2019/Theme-assets/reports/talent-trends-report.pdf
[4] Matthias Gutknecht (2017): Produktflüsterer, Augmented Reality als digitaler Coach. In: DIGITUS Heft 2017-III Oktober.