Kolumne: „Cognitive Business Automation“ oder Maschinen auf der Überholspur?

    Der Königsschmied ist derjenige, welcher die „Könige schmiedet“. Stets bestrebt, Führungskräfte zu formen und zu unterstützen. Der Schalk ist der „Hofnarr“. Er erzählt Geschichten und unterhält die Herrschaften. Gemeinsam sind sie „Der Königsschmied und sein Schalk“.

    Im DIGITUS erörten sie‚ exklusiv & in Farbe‘, kontrovers und provokativ – aber stets auf Augenhöhe und respektvoll, Themen der digitalen Welt .

    Manuel Hüttl/links und Prof. Peter Bienert/rechts

     

    Die Standpunkte zum Thema:

    Prof. Peter Bienert – „Der Königsschmied“: Wir engagieren uns verbal mit dem Ziel, eine Bindung zum Kunden aufzubauen, den Kunden ins Zentrum all unserer Bemühungen zu stellen. In der Realität zeigen wir dann, wie wir den Kontakt zum Kunden wirklich verstehen – nämlich als unangenehmen Kostenfaktor, den es unter allen Umständen zu reduzieren gilt.

    Manuel Hüttl – „Der Schalk“: Kognitive Technologien haben ein riesiges Potenzial. Sie sind in der Lage menschliches Wissen sinnvoll zu ergänzen. Sie können durch automatisierte Prozesse weiterlernen und dabei immer präziser werden. An der richtigen Stelle eingesetzt, stellen sie eine Effizienzsteigerung dar.

     

    Prof. Peter Bienert – Der Königsschmied „Am Rande der Komfortzone“ – mit seiner Philosophie wagt sich Prof. Peter Bienert in jenes trügerisch sichere Territorium, in dem schon so mancher seine Ziele, seine Leidenschaft, seine Berufung aus den Augen verloren hat. Stets liegt dem charismatischen Strategen dabei jener Grenzbereich der Unternehmensführung am Herzen, wo bekannte Konzepte und tief verankerte Denkweisen ihre Gültigkeit verlieren und Firmen wie Führungskräfte sprichwörtlich ins Schleudern kommen. Denn Prof. Bienert postuliert: Materieller Erfolg und spirituelle Qualität stehen nicht in Widerspruch. Das eine ist vielmehr ohne das andere nicht nachhaltig erreichbar. Gelebtes Unternehmertum ist in diesem Sinne für ihn ein Wertbeitrag zur Entwicklung einer besseren Gesellschaft.

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    Manuel Hüttl – Der Schalk Manuel Hüttl ist ein Kommunikationsberater, der schon immer weiter wollte als der reine Standard. Diese Attitude setzt er in allen Projekten um. Auf der Suche nach den kommenden Trends vergisst er nie die Wertigkeit seiner Leistungen im Unternehmenskontext. Der Kosmopolit schaut dabei auch auf branchenübergreifende Disziplinen. Sein Credo lautet: „Wandel braucht Spießer und Spinner!“ Größte Aufmerksamkeit gilt derzeit der digitalen Transformation und wie sie die Welt verändern wird. Manuel Hüttls 2005 erschienenes Buch „Der gute Ruf als Erfolgsgröße“ (Erich Schmitd Verlag, 2005) ist heute ein Standardwerk im Reputationsmanagement.

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    Manuel Hüttl/der Schalk inks und Prof. Peter Bienert/ der Königsschmied rechts

     

    Der Königsschmied: Cognitive Business Automation, da fällt mir zunächst auf, dass die zugehörige Abkürzung CBA die drei Buchstaben vor D wie digital enthält, nur in der falschen Reihenfolge. Als Verschwörungstheoretiker würde ich sagen, dass das kein Zufall sein kann.

    Der Schalk: Du bist aber studierter Wissenschaftler, mein Lieber, da  musst du dir schon was Besseres einfallen lassen.

    Der Königsschmied: Also gut – ein neuer Anlauf: Von D, wie digital, gelangen wir über C und B zu A wie Anfang. Und am Anfang steht die Frage des Nutzens. Ich frage also, was ist der Nutzen des Einsatzes von CBA?

    Der Schalk: Kognitive Systeme unterstützen den menschlichen Entscheidungsprozess mit höherer Genauigkeit, Geschwindigkeit und Agilität. Die Grundlage dafür bildet eine breite Palette von Daten und Hinweisen. Insbesondere die Möglichkeiten der Informationsverarbeitung sind wesentlich größer als die des menschlichen Gehirns. Kognitive Systeme erzeugen Hypothesen, evaluieren diese und lernen mit der Zeit auf Basis der Erfahrungen. Beides sind kritische Faktoren für Handlungsempfehlungen und Prognosen. Das sind erst mal die nackten Fakten. Und da wir die technische Entwicklung bekanntlich nicht aufhalten können, sollten wir die Vorteile der kognitiven Business Automation nutzen lernen, oder?

    Der Königsschmied: Das stimmt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch ich sehe, dass die Technologie einiges Potenzial hat. Doch ich wage zwei Behauptungen: Sie dient nicht wirklich dem Kunden und sie wird keine Qualitätsverbesserung nach sich ziehen.

    Der Schalk: Wie kommst du denn auf diese Idee – ist es vielleicht kein Vorteil, wenn der Kunde zum Beispiel anstelle eines langweiligen Call Center Menüs durch einen verständnisvollen Automaten nach seinen Bedürfnissen gefragt und entsprechend bedient werden kann. Das vereinfacht die Sache und verkürzt Wartezeiten.

    Der Königsschmied: In der Tat. Der Vorteil des digitalen Agenten ist, dass die Anzahl der möglichen Anrufe nicht mehr durch die Anzahl der Lohnempfänger einer Schicht begrenzt ist, sondern durch die Anzahl von virtuellen Maschinen im Rechenzentrum, die sich nahezu unendlich skalieren lässt.

    Der Schalk: Tja, das scheint ein Dilemma. Maschine ersetzt Mensch. Das haben wir aber doch schon alles in früheren industriellen Revolutionen erlebt, oder? Ich bin da prinzipiell auch skeptisch. Aber es gibt doch Bereiche, wo die Technologie ohne Zweifel einen hohen Nutzwert bringen wird.

    Der Königsschmied: Nun, in diesem Verständnis von Vorteil liegt gerade das Problem begründet. Wir engagieren uns verbal mit dem Ziel, eine Bindung zum Kunden aufzubauen, den Kunden ins Zentrum all unserer Bemühungen zu stellen. In der Realität zeigen wir dann, wie wir den Kontakt zum Kunden wirklich verstehen – nämlich als unangenehmen Kostenfaktor, den es unter allen Umständen zu reduzieren gilt.

    Der Schalk: Und – stört das den Kunden etwa? Der Preisvorteil, der durch diesen Wettbewerb entsteht, kommt letztlich der Brieftasche des Kunden zu Gute

    Der Königsschmied: Ach so. Ein namhafter deutscher Kabelprovider verkauft mir als Bestandskunden nach 15 Jahren einen günstigeren Vertrag, um dann meine auf dem Kabelmodem im Büro bestehenden Telefonnummern ohne Korrekturmöglichkeit abzuschalten. Die Hotline-Odyssee um einen Vertrag mit gleichen Nummern unter neuen Konditionen hat mich geschätzte 2,5 Stunden Zeit in drei verschiedenen Hotlines gekostet. Die letzte trug den Namen „Kündigungsverhinderungsabteilung“ oder so. Rechne ich meinen Stundensatz, wäre mir ein teurerer Vertrag lieber. Daran ändert auch eine kognitive Automation nichts. Wer einen Scheißprozess digitalisiert, so lautet ein inzwischen weit verbreitetes Zitat, erhält einen digitalen Scheißprozess – die Wortwahl stammt vom Urheber. Das gilt auch für „wer einen derartigen Prozess kognitiv automatisiert, der …

    Der Schalk: Da bin ich ja bei dir! Wir stehen bei der Technologie aber doch noch am Anfang. Im Kern der kognitiven Automation steht doch auch das Ziel, aus solchen Situationen zu lernen – also besser zu werden.

    Der Königsschmied: Die CBA macht in diesem Beispiel eben den Frontendprozess, nicht das Backend. Wenn die Frontend-Agenten auf das Backend einen Einfluss hätten, dann wären die Prozesse heute schon besser, denn die Menschen in einem Call-Center sind nicht nur schlichte Geister. Deine Hoffnung gründet damit auf der Überzeugung, dass ein Schwarm CBA-Agenten das intelligenter lösen kann als eine Gruppe Menschen. Da muss ich an Douglas Adams denken …

    Der Schalk: … „Per Anhalter durch die Galaxis“ – ein großartiges Buch über die Zukunft. Ich erinnere mich: Nach unendlicher Rechenzeit spuckt der galaktische Supercomputer aus: Die Antwort auf die Fragen ist 42. Leider haben wir zwischenzeitlich nur die Frage vergessen.

    Der Königsschmied: So machen wir das mit Effizienz. Die Antwort auf alle Fragen im Kundenkontakt ist 42, das eigentliche Ziel ist längst vergessen. Qualität wäre einen Versuch wert. Wer Kunden binden will, muss erkennen, dass die Wahl des Kunden ebenso wie die Bindung eine Frage der Emotion ist, dass der Kunde als Fan genau diese Qualität braucht. Vertrauen entsteht nicht dadurch, dass wir den Kunden als perfekt manipulierbaren Automaten betrachten, dem wir das Bedürfnis für jedes Produkt unterjubeln können, noch bevor er es selbst hat. Bevor wir mit ultimativem Aufwand versuchen, Robotern das Verstehen von Humor beizubringen, sollten wir vielleicht einfach Menschen an der Kundenfront einsetzen.

    Der Schalk: Nun ist CBA ja nicht auf den Kundenkontakt festgelegt, man kann die Technologie durchaus auch intern nutzen.

    Der Königsschmied: Sicherlich. Als Mensch, der über zwei Jahrzehnte mit dem Design von Prozessen und deren Abbildung auf IT beschäftigt war, verspricht das allein nichts Gutes. Viele Prozesse in den Unternehmen funktionieren nicht etwa deshalb, weil sie so gut erfasst, verstanden und abgebildet worden sind, weil sie ein perfektes Abbild der gewünschten Realität sind. Sie funktionieren häufig, weil der Mensch an den Schnittstellen des Prozesses dessen Unvollkommenheiten ausgleicht. In anderen Worten: Die Prozessökonomie der digitalen Welt funktioniert nicht, weil sie eine perfekte Maschine ist, sondern gerade, weil sie aufgrund des Menschen keine perfekte Maschine ist.

    Der Schalk: Das musst du mir jetzt aber mal genauer erklären.

    Der Königsschmied: Bei der Aufnahme bestehender Prozesse im Zuge eines Redesigs von Software und Prozessen stellen sich zwei Dinge heraus: Die Menge an informellem Wissen über den Prozess, die zum Funktionieren zwar erforderlich ist, sich aber in keiner formellen Beschreibung findet, wird immer unterschätzt. Das ist übrigens ein Grund für die Kostenexplosion vieler Projekte und zugleich das zweite Faktum: Der Versuch, dieses implizite Wissen beschreibend zu erfassen, ist ein Fass ohne Boden.

    Der Schalk: Und welchen Rat würdest du einem Unternehmen denn geben?

    Der Königsschmied: Setzen Sie sich sofort mit CBA auseinander!

    Der Schalk: Wie jetzt? Also doch auf CBA setzen?

    Der Königsschmied: Mein Lieber – immer genau auf meine Formulierung achten! Ich meinte auseinandersetzen. Nichts vom dem Gesagten spricht gegen die Notwendigkeit, sich mit der Technologie auseinanderzusetzen. Die Technologie selbst ist weder schlecht noch weltrettend. Es geht um den Ansatz, um unser Verständnis, mit dem wir sie platzieren.

    Der Schalk: Und das heißt jetzt konkret?

    Der Königsschmied: Denken wir an die New Economy. Damals war das Hauptaugenmerk auf bunten und coolen Weboberflächen. Die Pixelparks und die Razorfishs dieser Welt standen mit knalligen Farben und Fibonacci-Reihen zur Farbgestaltung von der Tür. Hinter der Fassade werkelten die unveränderten Hostsysteme. Heute machen wir den gleichen Fehler: Getrieben von dem Wunsch, auch zu jenen zu gehören, die schnell nach außen den Einsatz des allerneuesten Gadgets zeigen müssen, fangen wir dort an, wo man es schnell sieht und nicht dort, wo es lang dauert. Alufelgen und breite Reifen sind schnell montiert, das Sanieren des Motors dauert länger – und niemand sieht’s.

    Der Schalk: Also alles Fassade?

    Der Königsschmied: Selbst, wenn es gut gemeint ist, ja! – Nochmals: Die Technologie kann Großes, wirksam wird sie aber erst im Zusammenspiel mit einem neuen Prozessmuster. Ein guter Hinweis für alle Probleme dieses spannenden Generationswechsels ist: Frage dich, an welcher Stelle du gar nicht gerne anfangen willst und fang dort an! Das ist der Irrglaube, dass der Agent intelligenter sein muss als der Mensch und gemessen an den Organisationen auch intelligenter als so mancher Vorstand, unter dessen Führung diese Diskrepanz fröhlich gedeiht und genau jenes Vertrauen zum Kunden zerstört wird, das er in der Kommunikation des Unternehmens beschwört.

    Der Schalk: Können uns Technologien wie CBA nicht gerade dabei helfen?

    Der Königsschmied: Jedes System, das lernt, braucht ein Gerüst der Orientierung. Dies ist im Kern die Herausforderung für alle diese Technologien. Es geht gar nicht um die Frage, ob wir sie für potenziell schlauer halten als uns selbst. Autonome Autos können, entgegen verbreiteter Meinung, nicht das durch die ständig zunehmende Menge an Verkehr verursachte Problem beheben. Egal wie stabil der Abstand auch gehalten wird, wenn die Grenzkapazität der Bahn erreicht ist, hilft kein Roboter, da hilft nur eine weitere Spur oder weniger Verkehr. Und das gilt auch für CBA.

    Der Schalk: Wir sollten CBA also ein geeignetes Willkommen entgegenbringen und nicht die Lösung unserer eigenen Fehler erhoffen. Das ist doch ein wesentlicher Punkt: Wir erwarten von neuen Technologien doch immer, dass sie unser Nichtwissen, Fehlverhalten kompensieren oder mindestens unseren Leistungsgrad optimieren.

    Der Königsschmied: Das wäre kein schlechter Hinweis. Wären die Systeme, und damit schließt sich der Kreis zu Douglas Adams, tatsächlich so intelligent, dass sie unsere Probleme lösen könnten, dann würden sie sich sicher nicht mit deren Lösung beschäftigen.

    Der Schalk: Sondern was tun?

    Der Königsschmied: Sie würden, wie die beiden intelligenten Aufzüge in „Anhalter durch die Galaxis“, nicht mehr als Fahrstuhl tätig sein, sondern den ganzen Tag über im Keller stehen und philosophische Probleme diskutieren.

    Der Schalk: So wie wir halt – zwei intelligente Aufzüge, die gerade im Keller stehen und sich über neue Technologien unterhalten.

    Der Königsschmied: Ja genau! Wir zwei intelligenten Aufzüge. Spaß beiseite. Aber apropos Keller. Mir kommt da ein ganz anderer Gedanke. Nämlich dass viele Digitalisierungsprojekte leider im Keller erledigt werden obwohl sie in das Penthouse gehören. Verstehst was ich meine?

    Der Schalk: Herrje. An dir scheint echt ein Philosoph verloren gegangen zu sein.

    Anmerkung der Redaktion: Sagen WIR doch und zitieren uns selbst *Editorial DOK.4.2018:

    „Von Zeit zu Zeit mal Philosophen lesen.“