
Interviews mit Dr. Jörg Haas, Gründer der Scopevisio AG
Durch künstliche Intelligenz fahren nicht nur Autos autonom – es lassen sich auch viele betriebliche Abläufe in Unternehmen automatisieren. So arbeitet auch der Bonner Softwarehersteller Scopevisio an neuen Lösungen, die KI-Funktionalität bei der Ausführung automatisierter Workflows einsetzen: Das Unternehmen wird zur CeBIT die Beta-Version eines künstlich intelligenten, sprachgesteuerten Assistenten vorstellen, der die Arbeit mit der betrieblichen Anwendung vereinfacht. Mit dieser Art technologischer Meilensteine geraten Unternehmensbereiche wie beispielsweise die klassische Buchhaltung in den Fokus des Wandels: Denn das, was heute im betrieblichen Alltag an Routinearbeiten noch durchgeführt wird, hat wenig mit dem gemein, wie man morgen arbeiten wird. DIGITUS sprach mit Dr. Jörg Haas über die Zukunft von Unternehmenssoftware, lernende Anwendungen und künstliche Intelligenz.
Herr Dr. Haas, lassen Sie uns doch gleich zu Beginn dieses Interviews in die Zukunft blicken. Wie sieht denn Ihrer Meinung nach die Unternehmenssoftware von morgen aus?
Die Frage ist eher: Wie sieht morgen der betriebliche Alltag aus? Heute hilft betriebliche Software dabei, abteilungsbezogene manuelle Prozesse zu vereinfachen. Künftig werden jedoch immer mehr betriebliche Abläufe automatisiert und abteilungsübergreifend gesteuert – da diese mit adaptiven und künstlich intelligenten Funktionen ausgestattet sein werden. Bezogen auf die Buchhaltung bedeutet dies beispielsweise: Wir wollen nicht die neueste und beste Finanzbuchhaltung der Welt entwickeln, sondern Software, die die Buchhaltung weitgehend autonom erledigen kann.
Könnte man dann – etwas zugespitzt natürlich – den Schluss ziehen, dass zukünftig die Software die Buchhaltung macht, während der Steuerberater oder Buchhalter Kaffee trinkt?
Ja, zumindest der erste Teil Ihrer Frage stimmt. Statt mit Routineaufgaben wird sich der heutige Buchhalter als Finanzcontroller künftig stärker mit strategischen Unternehmensfragen auseinandersetzen müssen, welche die künstlich intelligente Software auf seine Agenda setzt. Zum Beispiel, weil sie auffällige Kennzahlen oder Benchmarks identifiziert hat oder zukünftige Finanzierungslücken prognostiziert, die mit dem bloßen Auge schwer erkennbar sind.
Viele wiederkehrende manuelle Prozesse, die Sachbearbeiter heute noch erledigen, werden dagegen komplett automatisiert. Früher gab es komplexe Listen und aufwendige Berichte, die nur von Fachpersonal verstanden wurden. Heute können komplexe Zusammenhänge automatisiert analysiert, auf das Wesentliche reduziert und leicht verständlich visualisiert werden. Auch unser Unternehmen arbeitet bereits seit einiger Zeit daran, betriebliche Prozesse weitgehend zu automatisieren: zum Beispiel durch den Einsatz von adaptiven, also lernenden Verfahren sowie durch die tiefe Integration unterschiedlicher Funktionen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz.
Wie sieht denn so ein künstlich intelligentes System aus?
Mit Hilfe künstlich intelligenter Systeme versucht man, menschenähnliche, sogenannte „schwache Intelligenz“ nachzuahmen. Im Zentrum unserer Arbeiten steht die Automatisierung intelligenten Verhaltens in betrieblichen Abläufen. Die Fähigkeit zu lernen, also der Einsatz adaptiver Verfahren, ist genauso integrierter Bestandteil unserer Forschung und Entwicklung wie der Umgang mit Unsicherheit und probabilistischen Informationen. Ein Beispiel: Wir arbeiten an einem lernenden Verfahren einer exakten Positionsextraktion durch eine bewertungsbasierte Mustererkennung für bekannte Rechnungstypen auf Basis der Programmiersprache Haskell. Auch entwickeln wir ein abstraktes und multipel einsetzbares Expertensystem auf Basis der erweiterten Booleschen Algebra, mit einem integrierten Entscheidungsbaum sowie der Beherrschung von Unschärfe und Vagheit per mehrwertiger Fuzzylogik.
Mit solchen Verfahren können wir beispielsweise in der Buchhaltung Rechnungen und Belege aller Art exakt und positionsgetreu erkennen, automatisiert kontieren, Zahlungen ausziffern, Anomalien wie Preisabweichungen einzelner Artikel erkennen und Routinerechnungen und Belege automatisiert verbuchen.
Und was benötigen Sie zusätzlich zu dieser Technologie?
Eine große Menge an Daten – Big Data – aus denen Muster und Entscheidungsstrategien abgeleitet werden können, damit das System valide daraus lernen kann. Dass in der digitalen Welt genug Daten vorhanden sind, erklärt sich von selbst. Aber oftmals liegen diese Daten in abgeschlossenen Silos – zum Beispiel in abteilungsbezogenen Systemen. Manchmal geben auch einzelne Mitarbeiter ihr Wissen nicht gerne preis. Diese Struktur brechen wir durch unser offenes Plattformkonzept auf, bei dem wir alle Geschäftsbereiche und auch strukturierte beziehungsweise unstrukturierte Daten externer Partner – deren Einverständnis vorausgesetzt – zentral zusammenführen. Dazu dient zum Beispiel unser cloudbasiertes, hochfunktionales und tief integriertes Dokumentenmangement-System (DMS), welches – mit großem Metawissen der betrieblichen Zusammenhänge angereichert – zum Enterprise Content System (ECS) wird.
Um die Vielzahl der Unternehmen und Anwender, die hohe Funktionstiefe sowie die großen Datenmengen zu verarbeiten, benötigen Sie die entsprechende Rechnerkapazität, richtig?
Ja, das ist die dritte Komponente. Wir brauchen eine hohe Rechenleistung, um unsere Multi-Tenant-Unternehmenssoftware in ausreichender und agiler Performance jederzeit und überall auf der Welt zur Verfügung zu stellen. Diese Leistung stellen wir durch eine Virtualisierung unseres hoch skalierbaren und agilen Cloud-Ansatzes mit einer Verteilung auf verschiedene Rechenzentren sicher. Alles „Made and hosted in Germany“ und gemäß deutschem Recht.
Jetzt haben Sie zur CeBIT einen sprechenden digitalen Assistenten angekündigt. Was hat es damit auf sich?
Sprachsteuerung ist ein weiteres Anwendungsszenario künstlicher Intelligenz, die wir gerade implementieren. Spracherkennung basiert auf komplexen Mustern. Jede Stimme hat ihren eigenen Klang; Umgebungsgeräusche und Aussprachevarianten erhöhen die Komplexität zusätzlich. Wir greifen hier auf eine bekannte und erforschte Phonetik und Sprachsteuerung zurück. Wichtig ist die fachliche Aufbereitung von betrieblichem Content. Auf der CeBIT zeigen wir die Betaversion unseres „Scoper“, eines digitalen, sprachgesteuerten Assistenten für unsere integrierte Softwareplattform.
Sprachsteuerung ist also für Sie eine sehr förderliche Umsetzung von künstlicher Intelligenz …?
Ja, genau. Wir sind sicher, dass Sprachsteuerung ein wesentlicher und allgemein beliebter Bestandteil der Mensch-Maschine-Kommunikation wird, auch in der Unternehmenswelt. Bis Ende 2017 wird unser Scoper rund tausend betriebliche Fragen, z.B. nach Forecast, Angeboten, Aufträgen, Umsatz, Ergebnis oder Liquidität sachgemäß beantworten können. Das Fragen und Antworten ist sehr komfortabel und minimiert den Recherche- und Arbeitsaufwand erheblich. Darüber hinaus kann dieser digitale Assistent über unterschiedliche Kanäle, also zum Beispiel per Mail, im Chat, in Nachrichtendiensten wie Slack, Jammer, MS Teams oder in Scopevisio selbst über wichtige Ereignisse informieren. Das können je nach Aufgabenbereich Benachrichtigungen zu Kunden, Abschlüssen, Ergebnissen, Freigaben, Geburtstagen wichtiger Kunden sein. Er gibt aber auch proaktiv Hinweise auf fehlende Aktivitäten, z.B. anstehende Fristwahrungen. Anhand von Einstellungen und dem Nutzerverhalten lernt der persönliche Scoper, was für den jeweiligen Anwender wichtig ist.
Aktuell wird ja sogar über die Rolle von künstlicher Intelligenz in Entscheidungspositionen – etwa dem Roboter als Chef – diskutiert. Wie stehen Sie zu solchen Überlegungen?
Das führt unmittelbar zu der Frage nach dem Unterschied zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Ein Algorithmus kann zwar lernen und die richtigen Antworten geben, die er aus vorhandenen Daten extrahiert und auf die Zukunft prognostiziert. Er versteht jedoch den Sinn bzw. die Bedeutung dahinter nicht. Also ist ein Programm nicht wirklich intelligent im menschlichen Sinne, sondern erscheint nur als intelligent. Auch ist eine Software nicht empathisch. Durch ihre ungemein große Rechenleistung können künstlich intelligente Systeme jedoch Muster aufdecken, Zusammenhänge erkennen und logische Schlüsse ziehen, was ein Mensch bei sehr großen Datenmengen kaum so leisten könnte. Und damit sind sie in Zukunft wichtige Partner bei der Entscheidungsfindung.
Kehren wir zurück in die Gegenwart. Was raten Sie Unternehmen, die heute vor der Einführung einer neuen Unternehmenssoftware stehen?
Ich würde eine solche Entscheidung auf eine höhere Ebene setzen. Es geht nicht um die Einführung einer Software, sondern um nichts weniger als um die Transformation eines Unternehmens in unser digitales Zeitalter. Es geht beispielsweise nicht um die Wahl einer neuen Finanzbuchhaltung, sondern um eine fundamentale Entscheidung, wie ein Unternehmen zukünftig agieren möchte und agieren kann. Wer in der heutigen Welt mithalten will, muss agil und digital sein. Er muss sein Informationsmanagement im Griff haben. Er muss vernetzt sein und schließlich möglichst viele Prozesse automatisieren, um den Kopf und die Ressourcen frei zu haben für Innovationen, die den zukünftigen Geschäftserfolg sichern.
An dieser Stelle spreche ich daher nicht mehr von klassischer Unternehmenssoftware, sondern von einer digitalen Transformationsplattform, die ein Unternehmen fit für das digitale Zeitalter macht. Sie muss einfach zu nutzen, hochgradig skalierbar, adaptiv, künstlich intelligent und sicher sein. Erst und nur sie macht es Unternehmen möglich, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.
Das klingt aber sehr existentiell. Stoßen Sie da nicht gerade bei Ihrer Zielgruppe, dem Mittelstand, auf Widerstand?
Es ist in der Tat existenziell, sich mit der Digitalisierung zu befassen. Die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts wird als das Zeitalter des digitalen Wandels in die Geschichte eingehen. Niemals zuvor hat es so tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft und im Berufsleben in so einer rasanten Geschwindigkeit gegeben. Wer das ausblendet, wird zwangsläufig auf der Strecke bleiben.
Unternehmer oder das Top-Management sollten daher die Digitalisierung zur Chefsache machen und dabei die eigene Einstellung und den Status-quo überprüfen. Unsere Rolle sehen wir darin, den Mittelstand auf dem Weg der digitalen Transformation partnerschaftlich zu begleiten.
Herr Dr. Haas, wir danken sehr herzlich für dieses Gespräch.
Scopevisio auf der CeBIT 2017 Halle 2, Stand B54
Die Scopevisio AG unterstützt den innovativen Mittelstand bei der digitalen Transformation und bietet eine offene digitale Plattform, deren Kern eine hochfunktionale und integrierte Cloud Unternehmenssoftware ist. Dabei setzt Scopevisio bereits heute auf den Einsatz neuer Technologien wie künstliche Intelligenz oder Sprachsteuerung Die Scopevisio AG beschäftigt rund 85 Mitarbeiter und zählt knapp 2.000 mittelständische Unternehmen zu ihren Kunden.