Interview mit
Prof. Dr.-Ing. Frank Fitzek, Chair of Communication Networks, Institute of Communication Technology TU Dresden und 5G Lab Germany Coordinator
Eines ist sicher: 2020 wird das 5G-Netz stehen. Ebenso steht fest, dass dieser Kommunikationsstandard durch das kognitive Zusammenschalten aller Anwendungen sowohl für die Alltagswelt als auch für die Wirtschaft epochale Veränderungen mit sich bringen wird. Aufgrund dessen ist es für Deutschland von hoher Bedeutung, diese Standards mitzugestalten. Doch wie ist hier die augenblickliche Position im Innovationswettlauf? Nach Aussage des VDE-Präsidenten Dr. Bruno Jacobfeuerborn „liegen wir gut im Rennen“ – nicht zuletzt auch aufgrund des 5G Lab Germany an der TU Dresden.
Doch trotz dieser momentan guten Stellung kann es schnell passieren, dass Deutschland zurückfällt, so die Warnung des VDE. Denn in Ländern wie Südkorea oder den USA wird die Forschung teilweise massiv staatlich unterstützt – folglich sind hier bereits Testläufe für 5G gestartet. Um also den Anschluss nicht zu verlieren, gibt es in Deutschland einiges zu tun – angefangen bei dem Ausbau der Breitband-Infrastruktur über Erleichterung von Frequenzfreigaben bis hin zur Novellierung von Marktregeln und Gesetzen. Auch im Rahmen der Innovationspolitik bedarf es mehr Unterstützung: So fordern zum Beispiel die Mitgliedsunternehmen und Hochschulen eine koordinierte EU-Politik für Schlüsseltechnologien wie Mikroelektronik.
Doch was bedeutet dieser neue Standard tatsächlich im Detail für Gesellschaft und Wirtschaft und worüber muss bereits heute nachgedacht werden? Dies erklärt Prof. Dr.-Ing. Frank Fitzek, Chair of Communication Networks, Institute of Communication Technology TU Dresden und 5G Lab Germany Coordinator im nachfolgenden Interview.
Herr Prof. Fitzek, warum ist der 5G-Standard für die Zukunft von so hoher Bedeutung?
Erst der 5G-Standard wird es ermöglichen, das Internet der Dinge zu steuern und regeln – und dies bedarfsgerecht in Echtzeit. Hierüber sind ganz neue Anwendungsszenarien realisierbar. Zum Beispiel lässt sich im Bereich der Mobilität mittels ‚Echtzeit-vernetzter Fahrzeuge’ und ‚selbstfahrender Autos’ – also im Prinzip der gesamten Steuerung des Verkehrs über das Netz – der Verkehrsfluss auf unseren Straßen sicherer und umweltschonender gestalten. Denn allein aufgrund der übergreifenden Vernetzung wird es, gelingen Unfälle zu vermeiden und auch Staus gehören dann weitestgehend der Vergangenheit an. Aber daneben gibt es noch viele weitere interessante Anwendungsgebiete.
Welche sind dies im Einzelnen? Werden dadurch nur neue Services möglich oder tatsächlich Geschäftsmodelle, die heute noch nicht denkbar sind? Und wer wird hiervon profitieren?
Neben dem bereits angesprochenen Bereich der Mobilität lassen sich vielfach neue Märkte erschließen. So wird meines Erachtens definitiv die Industrie – zur Realisierung der intelligenten Fabrik etwa durch die Bereitstellung einer schnellen und zuverlässigen M2M-Funkkommunikation – von 5G profitieren, aber ebenso das Gesundheitswesen sowie die Unterhaltungsindustrie. Aber auch, nicht zu vergessen, die Stromversorger. Denn hier eröffnet sich durch 5G das notwendige Potenzial zur Gestaltung von Smart Grids. Darüber hinaus wird es demnächst beispielsweise möglich sein, Stromgeneratoren in großer Zahl phasengenau anzusteuern und zusammenzuschalten.
Aber lassen Sie uns noch einmal dezidiert auf die Kommunikationsnetze eingehen. Nachdem sich der Markt hier in den letzten Jahren nur über Smartphones, Tablets und Cloud-Lösungen definiert hat, rückt nun das Netz in den Fokus. Dadurch verändert sich einiges – das Besondere für die Telekommunikationsanbieter liegt in der Tatsache begründet, dass sich 5G-Technologien nicht mehr ‚over-the-top’ anbieten lassen.
Mit anderen Worten: Das einfache Durchleiten von Bits ist, auch als Geschäftsmodell, bald ein Relikt der Vergangenheit. Zukünftig geht es darum, dass alle wichtigen Dienste innerhalb des Kommunikationsnetzes abgebildet werden – inklusive Echtzeitfähigkeit, Sicherheit und Netzverfügbarkeit. So lassen sich dann Anwendungen hervorbringen, die heute noch undenkbar sind.
Ist dies auch ein internationaler Wettlauf um neue Geschäftsmodelle?
In erster Linie gehe ich davon aus, dass aufgrund der beschriebenen Chancen die Telekommunikationsanbieter gestärkt werden und dass dies auch positive Auswirkungen auf deren Stellung gegenüber den marktbeherrschenden Internetkonzernen aus dem Silicon Valley hat. Das zeigt die hohe Bedeutung des Kommunikationsnetzes und diese Relevanz gilt es zu akzeptieren. Eventuell muss hier an der einen oder anderen Stelle bei Bedarf (staatlich) gegengesteuert werden. Denn ein Risiko besteht faktisch: Wenn wir es nicht schaffen, eine deutsche oder europäische Lösung aufzubieten, wären wir wieder auf unkontrollierbare Kommunikationsnetze anderer Nationen angewiesen.
Dies hört sich nach enormen Veränderungen an. Wie wird denn der Übergang ab 2020 realistisch vonstatten gehen können?
Der Übergang, und somit auch die Markteinführung neuer Geschäftsmodelle, wird sicherlich kontinuierlich erfolgen. Nehmen Sie die Mobilität – es ist nicht sehr realistisch, dass alle Personen in Deutschland zur gleichen Zeit ein Auto kaufen können, das mit der 5G-Technologie kompatibel ist. Hierfür besteht aus meiner Sicht aber auch überhaupt keine Veranlassung. Andererseits muss man natürlich sehen, dass die Effizienz der Systeme schon davon abhängt, wie schnell der Übergang erfolgt. Also eigentlich – je schneller die Umstellung vorangeht, desto besser.
Haben wir genügend Zeit dies abzubilden? Wie sieht idealerweise die Lernkurve in Deutschland und auch in Europa aus? Oder ist es ein Vorteil, von Südkorea zu lernen und eventuell Fehler bei der Einführung zu vermeiden?
Auch wenn einige der genannten Anwendungsgebiete noch futuristisch klingen, so ist doch sicher, dass die 5G-Technologie schnell und mit großer Wucht sowohl auf unsere Gesellschaft als auch auf die Industrie treffen wird.
Folglich müssen wir diese Prozesse mitgestalten. Nicht zuletzt auch, um die ethischen und sozialen Werte unserer Gesellschaft in die Technologie miteinzubringen. Hierfür ist es unter anderem wichtig, die nächsten Generationen auf die digitale Aufgabe vorzubereiten und dies keinesfalls nur im Sinne der reinen Programmierung von digitalen Endgeräten.
Lassen Sie mich noch zwei Sätze zum Zeitfaktor sagen. Natürlich gibt es weltweit eine starke Konkurrenz im Bereich 5G. Doch das 5G Lab Germany an der TU Dresden ist hervorragend und vor allem breit aufgestellt. Von daher bin ich mir sicher, dass wir unseren Vorsprung auch noch weiter auszubauen können.
Wenn der Start von 5G weltweit erst für 2020 anberaumt ist, besteht dann nicht die Gefahr, dass bereits De-facto Standards geschaffen werden, zum Beispiel in Südkorea, da dort ja der Start bereits für 2018 anvisiert ist?
Ich gehe davon aus, dass in Südkorea sicherlich erste überehrgeizige Projekte in der Beta Phase vorgestellt werden. Doch bei näherer Betrachtung können die angekündigten 5G-Systeme im Rahmen der Olympischen Spiele lediglich die uns bekannten Videodienste anbieten. Diese Dienste haben tatsächlich nur am Rande etwas mit 5G zu tun.
Aber natürlich wird es aus diesem Grund weitere Standardisierungsaktivitäten innerhalb von 5GPPP, IEEE, ETSI, ISO und anderen Institutionen geben. Allein unter dieser Perspektive ist für das ‚richtige’ 5G eher 2020 als Ziel realistisch.
Bis 2020 ist nicht mehr so viel Zeit. Gibt es noch viele Einschränkungen in Bezug auf die Realisierung und konkret, was muss bis zum Start von 5G alles vorhanden sein?
Es werden unter anderem neue Luftfunkschnittstellen benötigt, die es überhaupt ermöglichen, die minimalen Latenzanforderungen zu erfüllen. Hierfür fehlt teilweise noch die notwendige Technologie. Im Weiteren entsteht, aufgrund der Virtualisierung der Netze als Teil des Konzepts, ebenso ein Bedarf hinsichtlich der Entwicklung neuer Komponenten. Ein weiterer Hebel dafür, 5 G und das Internet der Dinge zu realisieren, ist das Design von schnellen und sicheren Prozessoren. Hierbei liegt das Augenmerk auf den sogenannten Many-to-Core-Lösungsansätzen.
Die Vernetzung von 500 Milliarden Endgeräten erscheint sehr herausfordernd. Wie lässt sich sicherstellen, dass die Komplexität überhaupt noch steuerbar ist?
Die Komplexität wird sicherlich nicht mehr zentral abgebildet, sondern in verteilten Systemen ablaufen. Das ist eine der Voraussetzungen für die Skalierbarkeit des 5G-Systems. Um solche verteilten Systeme zur Unterstützung von dynamischen Anforderungen zu realisieren, ist es notwendig, 5G-Kommunikationssysteme nicht mehr nur in Spezialhardware zu emulieren, sondern gleichfalls in Software auf generellen Hardwareplattformen.
Lassen sich die neuen Systeme noch absichern? Wenn ja, wie?
Die Sicherheit von 5G-Systemen ist ein wesentlicher Punkt in unserer Forschung, da ohne Sicherheit diese Systeme weder effizient noch von der Gesellschaft akzeptiert werden. Die neuen Sicherheitskonzepte beziehen sich gleichermaßen auf die Hardware wie auch auf die Software. Es werden hierbei nicht nur monolithische, sondern ebenso verteilte Ansätze untersucht.
Auch der VDE engagiert sich auf vielen Ebenen dafür, spezielle Anforderungen für sicherheitskritische Anwendungen und kritische Infrastrukturen zu formulieren.
Herr Professor Fitzek, wir bedanken uns bei Ihnen für dieses wirklich spannende Gespräch.
Das 5G Lab Germany an der TU Dresden ist ein interdisziplinäres Team mit mehr als 500 Wissenschaftlern aus 20 Forschungsbereichen der TUD. Ziel ist es, Schlüsseltechnologien für die Entwicklung des 5G-Mobilfunkstandards zu liefern. Die Forschung findet in vier verschiedenen Bereichen statt: Wireless & Networks, Tactile Internet Applications, Silicon Systems und Mobile Edge Cloud. Es gibt mehr als 50 verbundene Industriepartner, darunter Vodafone, National Instruments, Nokia, Rohde & Schwarz, Alcatel-Lucent, NEC, Claas und Ericsson. Der Exzellenzcluster „Center for Advancing Electronics Dresden“ unterstützt das 5G Lab mit seinen drei systemorientierten Forschungsbereichen Orchestration, Resilience, und Highly-Adaptive Energy-Efficient Computing (HAEC).